Türkei- Ehrengast der Frankfurter Buchmesse




con tempo - Musiktheaterproduktion
Die Schatten von Istanbul (2008)
von Richard Wenzel und Udo Diegelmann


nach 2 Erzählungen aus Palast des Ostens (Dogu Sarayi) von Murathan Mungan
für 2 Vocalsolisten einen Tänzer und Ensemble (Trio)

Gallustheater, Di 14., Mi 15., Do 16. 10., 20.00 Uhr

Eintritt: 16.- erm. 11.- € 

Anwesenheit des Autors und der Komponisten

für 2 Vocalsolisten, 1 Tänzer, Ensemble (Trio)
Ensemble con tempo, Frankfurt
Künstlerische Leitung: Udo Diegelmann
Szene: Fabian von Matt
Übersetzungen: Birgit Linde und Alex Bischof




Sopran: Gabriele Fehrs



Bass: Miljan Milovic



Ensemble con tempo:
Christoph Dorner: Flöten
Claudia Hornbach: Akkordeon
Udo Diegelmann: Schlagzeug, Elektronik



Teil 1: Muradhan und Selvihan , Komponist, Librettist: Richard Wenzel

Tanz: Takao Kazama

Teil 2: Binali und Temir, Komponist, Librettist: Udo Diegelmann




Begrüßung, Eröffnung: Nicola Beer (Schirmherrin, Vorsitzende im Hessischen Landtag, Sprecherin für Wissenschaft und Kunst )




das Projekt:
Den Komponisten Richard Wenzel und Udo Diegelmann ist es gelungen, 2 Erzählungen eines der erfolgreichsten türkischen Autoren in Musik und Szene darzustellen. Mungan stammt aus Istanbul, Er bildet die eine Seite, die Frankfurter Künstler des con tempo Ensembles die andere Seite für eine internationale kreative Plattform.
Mungan schöpft aus dem Geschichtenschatz anatolischer Mythen und Heldensagen. Als Großstadtbürger gestaltet er die alten Stoffe jedoch in zeitgenössisch-traditionellem Crossover.
Seine Sprache, Stilistik und Form schreit förmlich nach einer Umsetzung in Farbe, Melodie, Klang, Rhythmus, Aktion und Bild.
Die 3 Instrumentalisten und 2 Sänger des Ensembles con tempo, die gleichzeitig Akteure, Sprecher und Schauspieler sind, bringen viele den Texten innewohnende Dimensionen ans Licht: Träume, Wünsche, Vorstellungen, Erinnerungen, Gefühle und Erfahrungen der Protagonisten werden auf der Bühne nicht nur hör -, sondern mit allen Sinnen erfahrbar.

In den 2 ausgewählten Erzählungen aus Mungans Band Palast des Ostens sind die Helden allesamt Paare in ganz unterschiedlichen Konstellationen: Zwei zwei unsterblich Verliebte, die im Diesseits nicht zueinander finden; Hirte und Räuber; Der Autor lässt seine Akteure in existenziellen Situationen aufeinanderprallen, um ihre Reaktionen mit der Beobachtungsgabe des Psychologen und der Wortgewalt des Poeten zu enträtseln.


zu Teil 1:
Muradhan und Selvihan Zusammenfassung:
Die Handlung ist eine Art Romeo und Julia Geschichte, Schauplatz das alte osmanische Reich. Zwei gerade der Kindheit entwachsene Jugendliche entdecken gemeinsam die Sinnlichkeit. Nach kurzem Glück scheitert die Liebe am Standesunterschied.
Selvihan ist die Prinzessin des Kristallpalastes, die Tochter des Bey`s, die Muradhan den einfachen Sohn eines umherziehenden Nomadenstamms und begnadeten Tänzers liebt. Die Beziehung beider endet mit ihrem Tod.
Zum Ereignis wird es aber durch die Kunst Mungan`s, die mit orientalischer Erzählweise, voll poetischer Arabesken, die Geschichte in Szene setzt. Seine Sprache enthält eine Musik, die in reale Klänge übersetzt worden ist.

Richard Wenzel

zu Teil 2:

Binali und Temir
Zusammenfassung:
In dieser mythischen Schilderung, tun sich Abgründe auf. Temir, ein Hirte in den Bergen Istanbuls, ist wild und ungezähmt. Das Aufwachsen ohne Liebe hat ihn autark gemacht, und doch ist der Junge auch schutzlos: "Außer seinem Filzumhang hatte er kein Zuhause.“ In diese Einsamkeit dringt Binali ein: ein verletzter Bandit, den Temir findet, in seine Höhle rettet und pflegt. Binali spürt keine Dankbarkeit, in seinem Leben hat er nichts anderes als den Kampf kennen gelernt. Als er zu sich kommt, will er zuerst wissen, wo er selbst und wo seine Waffe ist, erst dann nimmt er den Jungen überhaupt wahr. Es kommt zu einem Liebe- Hass Verhältniss, der Junge hält den stolzen, arroganten Banditen quasi gefangen: Er verhindert seine Genesung absichtlich, quält und hält ihn krank, will dessen Stolz brechen-Binali aber kommt frei und rächt sich furchtbar. Er spürt Temir auf, schlägt ihn zusammen und foltert ihn. Am nächsten Tag überkommt ihn Reue, er erinnert sich daran, dass er dem jungen Hirten sein Leben verdankt. Er pflegt nun seinerseits den von ihm beinahe Getöteten. Darauf erleben beide eine Zeit der gegenseitigen Zuneigung und Liebe, Binali übernimmt Temir gegenüber eine Art Vaterrolle und Temir geniesst die Fürsorglichkeit, die er in seiner Kindheit vermisst hat. Dennoch gewinnen die alten Hassgefühle wieder die Oberhand: beide begreifen, dass die Liebe nur dazu dient, den anderen in Abhängigkeit zu halten, zu verweichlichen und somit auf sanfte Art zu bekämpfen. Als Temir realisiert, daß Binali seine Liebe quasi benutzt, um ihn so doch noch zu besiegen, nimmt er Binalis Gewehr und erschiesst ihn damit.

Interpretation:

Die modern-traditionelle Erzählung Binali und Temir, beschreibt eine zwiespältige Beziehung zwischen Liebe und Hass, Zärtlichkeit und Feindschaft zweier unterschiedlicher männlicher Charaktere.
Temir, ein fünfzehnjähriger Hirtenjunge lebt mit seinen Herden einsam in den höheren Bergregionen des Hinterlands von Istanbul.
Er findet den angeschossenen Binali, einen renommierten Räuberhauptmann auf der Flucht. Er erkennt ihn zuerst nicht, bringt ihn in seine Höhle und pflegt den Schwerverletzten. Von Kind an auf sich allein gestellt und ohne elterliche Liebe aufgewachsen, entwickelt Temir sofort eine natürliche Liebesbeziehung zu dem "ihm anvertrauten" Pflegeobjekt. Er vollzieht innerlich den Vergleich zu einem von ihm gesund gepflegten Falken, den er mit einer Flügelwunde gefunden und eine zeitlang im Käfig gehalten hatte. Sobald Binali jedoch aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, offenbart sich Temir ein machtbesessener, befehlsgewohnter, undankbarer Charakter, der seiner Natur-Ethik, seiner subjektiven, totalitären Weltsicht, vollkommen entgegensteht. Fehlende Sozialprozesse und fehlende Sozialerziehung haben seine Kindheit geprägt.
Der jüdisch-französische Philosoph E. Levinas beschreibt eine Beziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen, die vergleichbar erscheint. Temir erlebt seine Umgebung als Erweiterung seines Ichs, ebenso alle ihn umgebenden Lebewesen. Wird nun eines dieser Wesen (Binali, bzw. der Falke) zum eigenen Ich, d.h. wechselt über zum "Anderen", entsteht bei ihm sofort der existenzielle Wunsch zu kontrollieren, zu dominieren. Sozialerziehung und Liebeserfahrung als Kind ermöglichen eine Selbsterfahrung, dem "Anderen", im weiteren Sinn, der Unendlichkeit oder "Gott", als Subjekt gegenüber zu treten (lat: sub jactum = unterworfen). Voraussetzung ist aber die Erfahrung, den Anderen, seine Stimme, sein Gesicht kennenzulernen, ihm zu vertrauen.
Beide, Temir und Binali, machen die Erfahrung, einem vollkommen anderem Selbst gegenüberzustehen.
Temirs Stimmung wechselt, als Binali erwacht. Er war immer allein und nun ist zum ersten mal ein anderer in seiner Höhle. Binali, ein regional bekannter, berühmter Gesetzloser, der von einer rivalisierende Räuberbande gejagt wurde, ist es gewohnt, immer zu dominieren. Er sieht die Welt nur durch Gewalt. Temir ist empört, als er seinen Namen nennt und Binali diesen nicht kennt. Er ist doch bekannt als der grosse Hirte mit den riesigen Herden. Umgekehrt kennt Temir Binali, als dieser seinen Namen nennt, sogar von Kind an, als den sagenumwobenen Helden. Beide haben es nicht gelernt, den "Anderen" zu integrieren. Die Situation in der Höhle eng aufeinander gepfercht zu sein beschwört den Ausbruch von Gewalt herauf. Durch Binalis Selbsterhebung provoziert, beginnt Temir über den geschwächten Binali zu dominieren, quält ihn, lässt ihn hungern, dursten und hält ihn gefangen. Der Krieg zwischen beiden beginnt. Erst durch eine Gewaltausübung, das Urinieren auf Binalis existenziellstes Statussymbol, seine Waffe, nimmt Binali Temir überhaupt erst wahr-allerdings als Feind. In Binalis Welt gibt es entweder seine Gefolgsleute oder die zu bekämpfenden Gegner und nichts dazwischen. Als die Schikanen und Erniedrigungen Temirs immer schlimmere Formen annehmen und Binali gebrochen aufgibt, wird er schliesslich von seinen Leuten gefunden. Temir war gerade nicht in der Höhle. Später, vollkommen genesen sinnt Binali auf Rache. Er findet Temir und tut ihm das gleiche an wie Temir ihm. Als Temir stolz bleibt und widersteht foltert Binali ihn auf horrende Art und schlägt ihn quasi in Stücke.
Durch Temirs Unbeugsamkeit und seinen erbarmungswürdigen Zustand bekommt Binali Mitleid und bereut seine Tat. Er pflegt Temir, heilt seine Wunden und kümmert sich liebevoll um ihn wie ein Vater. Dieser erfährt nun erstmals Fürsorge und liebevolle Zuwendung und entwickelt seinerseits Liebesgefühle zu Binali. Beide sind nun Individuen, die jetzt die Existenz eines "Anderen" teilen können. Der Zustand ist aber nicht stabil. Ihre Beziehung ist grundsätzlich durch Dominanz und Unterwerfung geprägt, besteht eigentlich aus dem "Beherrschen müssen des Anderen". Beide Ichs können nicht nebeneinander existieren. Temir benutzt die Gelegenheit als er wieder gesund ist, nimmt Binalis Waffe und zieht den Abzug. Er ist nun wieder allein, wird sogar selbst ein bekannter Gesetzloser in dieser Region. Der Konflikt konnte nur durch die Eliminierung eines der beiden Ichs gelöst werden.

Nüket Esen, Udo Diegelmann 

Video anschauen

Partner:
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunstl_stadtffm_s__180x29_mag
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